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NO2-World - No Anschutz World!


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No2-World – No Anschutz World!

Ein Beitrag zur im September geplanten Eröffnung der Anschutzhalle, und Aufruf zu vielfältigen Protesten

Am 10.09.08 ist es soweit: die Anschutz-Halle am Spreeufer, auch „O2-Arena“ genannt, öffnet ihre Tore im Rahmen der feierlichen Eröffnung – allerdings nur für geladene Gäste. Die Anschutz-Halle ist dabei nur das Herzstück eines weit grösseren Projektes. Anschutz gehört eine Fläche von 20 Hektar am Spreeufer, das doppelte der Fläche des Potsdamer Platzes. Hier soll in naher Zukunft rund um die Halle ein sogenanntes „Entertainment“-Viertel entstehen: Kinos, Restaurants, Einkaufszentren, Hotels. Das gigantische Hallen-Projekt wurde von der Politik auf allen Ebenen massiv gefördert. Die beteiligten Konzerne, ob sie nun Anschutz oder O2 heißen, Becks oder Coca Cola, sind glücklich – kein Wunder, winken am Spreeufer doch hohe Gewinne. Aber das Glück der Konzernbesitzer ist noch lange nicht das Glück von allen. Was bedeutet also die Eröffnung der O2-Halle für die Stadt Berlin und ihre Bewohnerinnen und Bewohner?

Die Anschutz/ O2-Halle – Projekt verschiedener Großkonzerne

Diverse Großkonzerne teilen sich die Gewinne aus den Geschäften am Spreeufer. Die Anschutz Entertainment Group (AEG) ist eine Tochergesellschaft des gigantischen Konzerns Anschutz Corporation, der vor allem durch Gewinne aus dem schmutzigen Geschäft mit Öl und Gas groß und mächtig geworden ist, aber auch auf vielen anderen Feldern, etwa dem Kommunikationssektor, aktiv ist. Anschutz ist der eigentliche Betreiber der Halle und des geplanten umliegenden „Entertainment“-Viertels. Der AEG gehören die Berliner Eisbären genauso wie diverse Fußball-, Eishockey- und Basketballteams, die AEG betreibt weltweit, von London bis Los Angeles, diverse Monsterhallen, über 6.000 Kinos, Filmproduktionsgesellschaften, ist Eigentümer diverser Zeitungen usw. Das Vermögen von Phillip Anschutz wurde im Jahr 1999 auf 16 Milliarden € geschätzt. Für eine ungenannte Summe hat die Firma Telefonica/ O2 die Namensrechte an der Halle erworben. Telefonica/ O2 ist die weltweite viertgrößte Telekommunikationsfirma, bereits bei der Halle in London („The O2“) gibt es eine enge Zusammenarbeit mit Anschutz. „Coca Cola“ und „Becks“ sind zwei der Hauptsponsoren der Halle, und haben damit Gelegenheit, massiv für die von ihnen angebotenen Produkte zu werben. Gigantische Konzerne, die in weiten Teilen der Welt den Markt bestimmen, wollen die Gelegenheit nutzen, noch größer zu werden, noch mehr Umsatz zu machen, noch mehr Profite zu erwirtschaften. „Becks“ gehört dem weltgrößten Bierbraukonzern „InBev.“, die „Coca Cola Company“ ist ebenfalls ein gigantischer, weltweiter tätiger Getränkekonzern.

Massive Unterstützung durch die Politik in Senat und Bezirk

Auf allen Ebenen gab und gibt es massive Unterstützung aus der Politik für das Großprojekt Anschutz/ O2-Halle. Um Anschutz zu bewegen, in Berlin zu investieren, flog Bürgermeister Wowereit extra in die USA. Und es blieb nicht bei freundlichen Worten. So gab es seitens des Berliner Senates anscheinend direkte Zuwendungen von mindestens 12 Millionen € (BZ 04.02.05), weitere geschätzte 25 Millionen € öffentliche Gelder flossen in Infrastrukturmaßnahmen für das Anschutz-Gelände (taz 18.07.08). Private profitorientierte Unternehmen mit hohen Subventionen nach Berlin zu locken, hat übrigens gerade am Spreeufer Tradition: so erhielt etwa Universal öffentliche Zuschüsse von fast 20 Millionen €, und auch MTV erhielt nach dem Umzug eine (ungenannte) Summe in Millionenhöhe. Anschutz, wie auch Universal und MTV, ist Teil des Lobbyverbandes „MediaSpree e.V.“, einem „gemeinnützigen“ Verein, in dem ausschließlich Investoren und Eigentümer von Grundstücken am Spreeufer Mitglied werden können. Die Lobbyarbeit von MediaSpee e.V. für die Interessen und Proftige der beteiligten Firmen am Spreeufer wurde ebenfalls mit öffentlichen Geldern in Höhe von mindestens 600.000 € gefördert. Für die Anschutz-Halle wurden über 50 Ausnahmegenehmigungen von geltenden Gesetzen durchgesetzt (BZ 21.08.03) – ist das Interesse des Kapitals groß genug, reagiert auch die deutsche Bürokratie flexibel. So wurde etwa ein großes Stück der denkmalgeschützten East Side Gallery entfernt – um den Besucherinnen und Besuchern der Halle den „freien Blick auf die Spree“ zu ermöglichen (BZ 02.04.02) und einen direkten Zugang zum konzerneigenen Schiffsanleger zu schaffen. Ebenfalls problemlos genehmigt wurde die Aufstellung von insgesamt drei gigantischen Werbe-Displays, darunter ein 12-Meter-Bildschirm direkt am Spreeufer.

Die Folgen für Berlin und die Anwohnerinnen und Anwohner

Während die Verhältnisse für die am Profit interessierten Konzerne recht paradiesisch sind, sind die Folgen für Berlin und auch die direkten Anwohnerinnen und Anwohner katastrophal. Die städtischen Hallen Velodrom und Max-Schmeling-Halle geraten nun, nach dem Umzug von Alba Berlin in die Anschutz-Halle, in massive Finanznot und müssen mit enormen Summen öffentlicher Gelder bezuschusst werden. Dem Betreiber der Hallen, der Firma Velomax, wurden für die Jahre 2008 – 2015 öffentliche Zuschüsse in Höhe von insgesamt 123,4 Millionen € garantiert – und diese Summe wird nach dem Umzug von Alba kaum reichen, demnächst soll über noch höhere Zuschüsse nachverhandelt werden (Tsp 12.07.08). Bereits 2002 ging die Senatsverwaltung davon aus, dass bei einem Auszug von Alba Berlin, wie nun geschehen, die Max-Schmeling-Halle geschlossen werden müsste (BZ 21.11.02). Doch bis heute gibt es laut „Tagesspiegel“ kein „Gesamtkonzept des Senates inklusive Prognose und Risikoabschätzung“ für die städtischen Hallen (Tsp 12.07.08). Thomas Härtel übrigens, bereits 2002 als Staatssekretär beim Sportsenator für die städtischen Hallen verantwortlich, ist immer noch auf diesem Posten.

Was diese Mischung aus direkten Subventionen und städtischen Verlusten in Millionenhöhe für Berlin bedeutet, liegt auf der Hand. In Zeiten leerer Kassen und einer Ideologie ausgeglichener Haushalte müssen an anderen Orten Leistungen gestrichen, Kosten gespart werden. Und während Konzerne verhätschelt werden, wird dort gespart, wo das Kapital keine Interessen hat und einfache Menschen betroffen sind: bei der öffentlichen Infrastruktur wie etwa Bibliotheken und Schwimmbädern, wo ständig die Preise erhöht und Zweigstellen gestrichen werden, beim öffentlichen Wohnungsbau, wo in den letzten Jahren tausende Wohnungen privatisiert wurden, beim öffentlichen Nahverkehr, der jedes Jahr teurer wird, bei den öffentlichen Schulen, wo die Klassen immer größer und die Lehrer immer schlechter bezahlt werden – etc.

„Arbeitsplätze“ - ein ideologisches und fadenscheiniges Argument

Es gibt nur ein einziges Argument, das gebetsmühlenartig von den verantwortlichen Politikerinnen und Politikern wiederholt wird, um Millionensubventionen für private Profite zu rechtfertigen: Arbeitsplätze. Aber was sind das für Arbeitsplätze, die hier entstehen?

Bei einer Kontrolle der Baustelle der Anschutz-Halle wurde festgestellt, dass viele der angestellten Arbeiterinnen und Arbeiter Stundenlöhne von sechs Euro erhielten – also die Hälfte des gesetzlich verbindlichen Mindestlohn von etwa zwölf Euro (dpa 14.11.07). Bereits während der Bauphase hat Anschutz so demonstriert, was für Arbeitsplätze hier entstehen werden. Im wesentlichen geht es um Ausbeutung der Angestellten in Billiglohn-Jobs, gerne auch jenseits geltender, eh minimaler Arbeitsschutzgesetze. Und nicht nur die Löhne, die gezahlt werden, sind katastrophal, die Angestellten werden auch noch schikaniert, etwa durch den Zwang zur Teilnahme an sogenannten „Lächel-Kursen“, wo gelernt werden soll, auch bei grenzenloser Ausbeutung und miesen Löhnen stets ein sonniges Lächeln auf den Lippen zu haben, um durch „Servicebereitschaft“ zum Wohlbefinden der profitbringenden Kundinnen und Kunden von Anschutz und Co. beizutragen (BZ 14.09.06).

Der als einer der Hauptsponsoren ebenfalls an der Halle beteiligte Coca Cola-Konzern hat in Kolumbien vorgemacht, was er von Rechten für Arbeiterinnen und Arbeiter und gewerkschaftlicher Organisierung hält: Gewerkschafter werden ganz offensichtlich im Auftrag des Konzerns schikaniert und bedroht, wer sich nicht einschüchtern lässt, wird umgebracht. Für hohe Profite durch niedrige Löhne geht nicht nur Coca Cola über Leichen.

Für die Berlinerinnen und Berliner bedeutet all das Gerede von Arbeitsplätzen lediglich, dass einige hundert mies bezahlter Jobs bereitgestellt werden – und die Arbeitsagenturen und Jobcenter werden sich redlich bemühen, etwa Hartz IV-Empfängerinnen und -Empfänger unter Androhung der Streichung sämtlicher Leistungen zu zwingen, diese miesen Jobs auch anzunehmen.

Und für die direkten Anwohnerinnen und Anwohner hat die Anschutz-Halle weitere negative Folgen. So wird es zu einer massiven Zunahme des Durchgangsverkehrs in den anliegenden Wohngebieten kommen, wenn zukünftig an über 150 Tagen im Jahr bis zu 17.000 Menschen zu den Massenspektakeln in der Halle anreisen werden – viele davon sicherlich im eigenen Auto, nicht umsonst wurde die Halle mit tausenden Parkplätzen ausgestattet. Auf einer gigantischen Fläche von 20 Hektar wird in Zukunft Anschutz bestimmen, was hier passiert, wer das Gelände betreten darf und wer nicht, hiervon ist auch das direkte Spreeufer betroffen. Und drei gigantische Werbetafeln machen die letzten Möglichkeiten urbaner Flussromantik zunichte. Von der Spitze der 12-Meter-Tafel direkt am Spreeufer wird obendrein durch drei Kameras illegalerweise der verbleibende öffentliche Raum abgefilmt.

Luxus für Reiche, Wachschutz und Polizei gegen Kritik

Und während in Berlin die Armen nicht nur weitgehend aus dem gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt, sondern auch zunehmend aus der Innenstadt verdrängt werden, können einige Reiche in Luxus schwelgen. So gibt es in der Anschutz-Halle auch 59 sogenannte „Luxus-Logen“, Orte, an denen die wirtschaftliche „Elite“ ihrem Hang zu Luxus frönen kann, Champagner, „Nussbaumparkett“ und „Naturstein“ inklusive (MP 01.09.06). Eine solche „Luxusloge“ kann ab 125.000 € pro Jahr angemietet werden – ganz offensichtlich ist hier kein Platz für Hartz IV-Empfänger_innen, die nicht einmal wissen, wie sie ihre Kinder angemessen ernähren können, vorgesehen. Luxus für die Reichen, ein eigener Eingang, reservierte Parkplätze, Kaviar und Champagner am Ledersofa – während in Kreuzberg-Friedrichshain derzeit mindestens 20.000 Kinder und Jugendliche in Armut aufwachsen.

Die Anwohner_innen wurden nicht gefragt, was sie denn von Anschutz und Co. halten – aus Sicht der Politik verständlich, denn eine Ablehnung der Monsterhalle am Spreeufer, eine Ablehnung der öffentlichen Subventionen für private Profite war vorhersehbar. Doch trotzdem meldeten sich die Anwohnerinnen und Anwohner zu Wort – etwa bei der Grundsteinlegung der Halle im September 2006. Während hier vor einer versammelten Prominenz aus Wirtschaft, Showbusiness und Politik Anschutz sich selbst feierte, entrollten Anwohnerinnen und Anwohner Transparente und protestierten mit Flugblättern und Sprechchören. Und wenn Wirtschaft und Politik sich wie bei Anschutz in den Chefetagen, auf Konferenzen und in Luxushotels verstehen und verbrüdern, klappt die Zusammenarbeit auch auf anderen Ebenen: die Protestierenden wurden von den anwesenden privaten Wachschützern unter massivem Einsatz körperlicher Gewalt vom Anschutz-Grundstück geschleift und der Polizei übergeben. Die beteiligten privaten Konzerne und der Berliner Senat scheinen fest entschlossen, jeden Widerstand gegen das öffentlich gefördertes Monsterprojekt Anschutz-Halle durch Repression und Einschüchterung zu ersticken.

Hohe Profite - zur Unterstützung antidemokratischer, homophober Reaktionäre

Und was passiert eigentlich mit den großen Profiten, die Anschutz und Co. am Spreeufer in Kreuzberg-Friedrichshain, auf allen Ebenen und mit allen Mitteln von Bezirk und Senat unterstüzt, zu erzielen hoffen? Philip Anschutz, auf Platz 16 der Liste der reichsten Männer der Welt, ist erklärter Förderer antidemokratischer, reaktionärer Gruppen und Bewegungen in den USA. So attestiert ihm etwa das politisch linksradikaler Umtriebe unverdächtige „Manager-Magazin“ den „politischen Gleichschritt mit dem US-Präsidenten Bush“ und berichtet über die Anschutz-Unterstützung der Wahlkampagne eines US-Abgeordneten, der dafür plädierte, „Kriminelle öffentlich auf Straßen aufzuhängen“ (MM 21.09.02).

Ein nicht unwichtiger Teil der Profite von Anschutz fliesst in die Unterstützung von Gruppen, die seit Jahren gegen die rechtliche Gleichstellung von Schwulen und Lesben kämpfen. So unterstützt Philip Anschutz als konservativer Republikaner und Anhänger der „Christlichen Rechten“ etwa die Gruppe „Colorado for Family Values“, welche aktiv den Kampf gegen die rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen betreibt und die These vertritt, Homosexualität sei eine der wesentlichen Ursachen für Pädophilie und Kindesmißbrauch („Paedophilia is not only a basic part of the homosexual lifestyle, it's one of the most frightening aspects of their political agenda“). „Colorado for Famliy Values“ gilt als eine der extremsten homosexuellenfeindlichen Gruppen in den USA.

In London führten die Verbindungen von Anschutz ins rechtsreligiöse, homosexuellenfeindliche Milieu zu einem Boykottaufruf schwulen- und lesbenpolitischer Bürgerrechtsgruppen gegen die seit einigen Jahren ebenfalls von Anschutz betriebene Mega-Halle „The Dome“ (bzw. seit neuestem „The O2“): jede Eintrittskarte in die Anschutz-Halle bedeutet Profit für Anschutz und trägt damit direkt zur Finanzierung homosexuellenfeindlicher Gruppen bei (The Observer 16.06.02).

Seine antidemokratische Weltsicht versucht Anschutz aber nicht nur über das Sponsoring entsprechender Gruppen durchzusetzen – eine wichtige Rolle spielen hier auch die ihm gehörenden US-Tageszeitungen, deren politische Richtung das Magazin „Cicero“ so beschreibt: „Für Familie und christliche Werte, gegen die Homo-Ehe – und im Zweifel für den „reborn christian“ George W. Bush“ (Cicero 01/06).

Und nicht nur die Verwendung ist ekelhaft. Auch die Erzielung der Profite ist bei Anschutz eine anscheinend zweifelhafte Sache – der „Observer“ berichtet von äußerst dubiosen Geschäftspraktiken und Untersuchungen durch die US-Finanzbehörden. Unter anderem hat die Anschutz-Firma Qwest Communications durch betrügerische Insolvenz anscheinend tausende Angestellte um die ihnen zustehenden Rentenansprüche betrogen. (The Observer, 16.06.02).

Auch diese Tatsachen haben Berlins regierenden Bürgermeister Wowereit jedoch nicht davon abgehalten, extra in die USA zu fliegen, um Anschutz nach Berlin zu holen, und halten die Stadt Berlin und den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg auch nicht davon ab, die privaten Profite von Anschutz mit Millionensummen zu fördern. So sieht verzweifelte, hoffnungs- und perspektivlose Politik aus. Die politische Verantwortung hierfür tragen die Parteien SPD, PDS und auch Die Grünen – der ehemalige grüne Baustadtrat und heutige Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz, war eine der treibenden Kräfte hinter dem Anschutz-Deal.

AG Spreepirat_innen beim Initiativkreis „MediaSpree versenken!“

Linkliste zu den im Text angegebenen Quellen:

The Observer, 12.06.2002

Berliner Zeitung 21.11.02

Manager Magazin 15.09.02

Berliner Zeitung 12.01.04

Berliner Zeitung 04.02.05

Cicero 01/06

Berliner Morgenpost 01.09.06

Tagesspiegel 12.07.08

taz 18.07.08